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Paul Kalkbrenner „7“

Von einer unblutigen Revolution und einem Künstler, der die Coolnessfalle weit hinter sich gelassen hat 

 

Der Repertoirekünstler

Er habe Deutschland, Schweiz und Österreich wirklich zur Genüge beackert. Nun müsse etwas Größeres her, merkt Paul Kalkbrenner an – und meint damit den Rest der Welt. Dass international derzeit der EDM Wahnsinn regiert, kann ihm dabei nur helfen. Natürlich hat Kalkbrenner mit jenem Genre keine Berührungspunkte, aber es kommt ihm zugute, dass die Massen-Raves der letzten Jahre dort einen vielversprechenden Nährboden für elektronische Musik gelegt haben. „Die ganze Mucke hat für andere elektronische Musiker Tore weit aufgestoßen“, führt er aus. „Das sind ja alles Hörgewohnheiten: wenn z.B. der Amerikaner zehn Jahre „bum bum bum“ auf dem Ohr hat, dann wird vielleicht auch mal für Künstler, die noch wesentlich kleiner sind als ich jetzt, die Chance bestehen, erfolgreich zu werden“

Seine Booking-Agency William Morris habe schon vor fünf Jahren verstanden, ihn möglichst weit von dem ganzen EDM Quatsch zu positionieren und auch Sony, das Label mit dem Paul Kalkbrenner für „7“ nun einen weltweiten Vertrag abgeschlossen hat, weiß, dass es nicht darum geht, ihn in einen Hype einzugliedern, sondern als eigenständigen Repertoirekünstler zu etablieren. 

Repertoirekünstler, ja, das entspricht Kalkbrenners Selbstverständnis als „klassischen Albumkünstler“. Das sei seine Kunstform, alles andere mache keinen Sinn für ihn, betont er mehrmals. 

Will man mit Paul Kalkbrenner über seine Musik diskutieren, so sollte man es vermeiden, mit Referenznamen um sich zu werfen. Nicht, dass das nicht mit seinem Ego zu vereinbaren wäre, der Mann ist so entspannt und easy-going, da würde ihn so etwas nie tangieren. Es ist nur so, dass ihm der Blick auf die Musik anderer eher fremd ist. Stattdessen beschäftigt er sich rund um die Uhr mit den eigenen Produktionen. Schließlich ist es ja seine Ambition zeitlose Klassiker zu schreiben.

 

Raum und Zeit

Genau das war für Paul Kalkbrenner die Mission bei seinem siebten, schlicht „7“ betitelten Studio-Album. „Die beiden letzten Platten habe ich in dreieinhalb, im Fall von „Icke wieder“ beziehungsweise zweieinhalb Monaten, bei „Guten Tag“ zwischen den Touren aus meinem Fundus zusammengelötet“, gesteht er und wirkt dabei äußerst ernst und unzufrieden. Das sei mit dem damaligen Stakkato an Auftritten im Windschatten des „Berlin Calling“ Films und seines Welthits „Sky And Sand“ – „Ich musste in den Durchgangsjahren 2009 und 2010 noch 150 Mal im Jahr durch die Clubs“. Das sei einfach nicht anders möglich gewesen, habe ihn als Künstler aber natürlich bei allem kommerziellen Erfolg sehr unzufrieden zurückgelassen. Insofern war klar, dass er nicht wieder ein Album vorlegen wollte, das zwar irgendwie durchgeht, aber nicht seinem Selbstanspruch entspricht. Elementar um dies zu erreichen, war die wertvollste aller Ressourcen: Zeit. 

Hilfreich war dabei, dass seine Auftritte in den letzten Jahren immer größer geworden sind, so muss Kalkbrenner auch gar nicht mehr so oft auftreten. „Es gibt nicht mehr so viele Mitbewerber in dieser Region, deswegen werden es auch weniger Bookings“, erklärt er. Und so hatte er nach den 32 Auftritten des Festivalsommers 2014 frei und konnte sich konzentriert an die Produktion setzen. 

„Es fühlte sich gut an, wieder anderen Raum zu haben“, beginnt er die Ausführungen über seinen Arbeitsprozess. „Ich konnte diesmal einen fertigen Song nach einem Monat noch mal besuchen und dann mit Abstand vielleicht noch ein weiteres Mal. Wenn ich richtig viel Zeit zur Verfügung habe dann wird es auch richtig gut. Meine Produktions-Skills haben sich in den letzten drei Jahren signifikant verbessert. Ich habe heute alles viel besser im Griff. Meine Musik bezog ja lange ihren Charme aus klanglichen Unzulänglichkeiten. Jetzt weiß, wie ich alles machen muss. Das kommt zustande, wenn man sich anderthalb Jahre Zeit nimmt für das Album.“

Selbstzweifel kennt Kalkbrenner nicht. Woher auch, in seiner Karriere ist ihm nie etwas widerfahren, was sie in ihm hätte nähren können. „Meine Musik wurde immer so genommen, wie ich sie mir ausgedacht habe. Das ist eigentlich für einen Künstler nicht so gut, wenn es keine Set-Backs gibt – und so muss ich eben damit umgehen“, merkt er einmal mehr lachend an. 

Wobei er neuerdings, hervorgerufen durch die Geburt seiner Tochter, doch welche spüre, wirft er ein: „Ich frage mich, ob ich dafür genug Kraft habe. Du siehst die Kleine und fühlst, dass du jetzt dafür verantwortlich bist.“

Diese Überzeugung, mit der Paul Kalkbrenner seine Produktionen und sich präsentiert, ist nur möglich, da er absolut geerdet lebt. Mit seiner Frau Simina Grigoriu ist er bereits sehr lange zusammen.  Er und sein Bruder Fritz, der ebenfalls elektronische Musik produziert und auf der Hitsingle “Sky And Sand” sang, sind sehr eng. Auch das professionelle Team um ihn herum (vom Manager bis zum Licht- und Soundmann) ist äußerst beständig. „Kontinuität ist das Wichtigste“, bringt er es auf den Punkt. 

 

Pfeifen im Name von Techno 

Sein Leitmotiv für die Albumproduktion sei der Frühling gewesen, berichtet Kalkbrenner und erzählt, dass er die vielen eingängigen Melodien, die die aus dem Motto resultierende heitere Stimmung von „7“ transportieren, tatsächlich im Studio zunächst eingepfiffen habe. Ja, richtig gelesen: eingepfiffen. Im Rausch des Loslassens den sich Kalkbrenner diesmal genehmigte ging er soweit dass er auf dem zweiten Stück des Albums „Cylence 412“, dieses Pfeifen am Ende gar völlig alleine stehen ließ. Eine gelungene Irritation.

Überhaupt merkt man dem Album an, dass Paul Kalkbrenner nicht mehr mit der Zielsetzung heranging, es allen recht machen zu müssen, in dem er, wie er es ausdrückt, „zwei, drei zwingende Technomonster“ draufpackte. „Ich bin nun eh auf einem anderen Level, also muss ich nicht mehr versuchen alle glücklich zu stellen mit einem Alibisong für sie.“ Dass mit „Mothertrucker“ trotzdem ein erfrischend old schooliger Technotrack auf dem Album ist, schadet natürlich nicht. 

Kalkbrenner hat die Scham früherer Tage negiert. Eine Scham, die der mit Techno sozialisierte immer spürte, wenn ihm eine Melodie in den Kopf kam, die irgendwie zu cheesy war. „Auf „7“ findet man Stücke, die hätte ich früher bei Bpitch Control nie im Leben an Ellen Allien verschickt“, gesteht er. „Weil sie viel zu trancig sind. Aber genau so ein bisschen Old School Trance sollte mit in die Produktionen. Man könnte also sagen: „7“ ist Techno-Trance von der guten Sorte.“ 

Um so weit zu kommen, musste er sich vom Klientelismus seiner Technosozialisation befreien. Oder wie er es ausdrückt, er musste aus der „Coolnessfalle“ raus.  Dass Kalkbrenner solche Überlegungen weit hinter sich gelassen hat, davon zeugen auf „7“ Love-Story-Stücke wie „Cloud Rider“ (im Original von 1981 und von D-Train unter dem Titel „You Are The One For Me“ herausgebracht), „Feed Your Head“ (im Original von 1967 und von Jefferson Airplane unter dem Titel „White Rabbit“ veröffentlicht) sowie  „A Million Years“ (im Original von 1981 und von Luther Vandross unter dem Titel „Never Too Much“ veröffentlicht) – gerade letzteres sei schon „hart an der Grenze, so schmalzig ist das.“ Die Songs wurden möglich, da sich Kalkbrenner im Archiv seines neuen Labels frei bei dem Vocal-Spuren zum Sampeln bedienen durfte. Eine Chance, die ihm zuspielte, da er niemand ist, der im Studio mit anderen Künstlern zusammenarbeiten will. Er schätzt dort den Zustand der Isolation.

Hinter all dem Zuckerguss schlummert aber auch noch eine andere Seite von Paul Kalkbrenner, da kann er noch so sehr dauernd von Optimismus, Zukunftsglauben und positiver Energie sprechen. Darauf angesprochen meint er, dass seine Mutter immer als Erste diese melancholische Ebene der Songs auffalle. 

Kalkbrenner spricht davon, eine „alte Seele“ zu sein und schon seit seinem zwanzigsten Lebensjahr „über das Sterben und das alles, was wir hier so treiben, was der Mensch halt so macht, um der Wahrheit nicht von morgens bis abends ins Auge schauen zu müssen, dass wir irgendwann wieder weg sind“, nachdenkt. Nach Unsterblichkeit sehnt er sich aber auch nicht. „Das ist das Allerschlimmste“, kommentiert er. „Aber so ein bisschen länger könnte es schon laufen, vor allem mit der Kraft. Lebensmüde, das Wort das es dafür im Deutschen gibt,passt: es ist genug, mehr passt nicht rein. Mehr soll man auch nicht erleben. Jetzt stell dir mal vor, du bist dazu verdammt ewig zu leben.“

 

Techno für Leute zwischen 8 bis 88

„Auf meinen Konzerten stehen Vater, Mutter und der Teenager zu dritt beieinander“, beschreibt Paul Kalkbrenner sein ganz spezielles Publikum. „Das ist geil, das ist Wahnsinn.“ Er mache eben lieber Techno für Leute von 8 bis 88, antwortet er auf die Frage nach seinem Zielpublikum. Bei ihm sei jeder willkommen.

Ganz am Anfang seiner Karriere war das noch anders. Da empfand er es auch mal kurz als cool, wenn es nur wenige verstehen. Doch er sollte schnell merken, dass seine Musik tatsächlich in größeren Läden besser funktioniert „als in so kleinen, wo du noch allen vor dem Pult in die Augen schaust.“

In der Tat besitzt Paul Kalkbrenners Musik dieses gewisse Celebration-of-a-Nation-Momentum, um Westbam und die erste große Technoerfolgswelle in Erinnerung zu rufen. 

So vielseitig wie das Publikum selbst seien dabei auch dessen Reaktionen, führt er aus – und das sei gut so. „Wie hat der Liedermacher Rainald Grebe gesagt? Das Größte ist es, wenn im Publikum der eine Mann sich scheckig lacht und daneben eine Frau sitzt, die in Tränen aufgelöst ist und dem Mann eine scheuert, weil er so lacht. Wenn der Raver mit einem Lächeln im Gesicht und Tränenüberströmt unten steht dann ist es geschafft.“

 

Zwischen Rummelsburg, dem Brandenburger Tor und den Rest der Welt

So international die Zielsetzungen mit „7“ auch sind, produziert wurde die Platte im tiefsten Ost-Berlin konkret in Rummelsburg, was noch hinter Kalkbrenners Kindheitshood Lichtenberg liegt. Dort unterhält er seit 2011 sein eigenes Studio und dort findet er die Ruhe, um alleine an seiner Musik zu arbeiten. Die Verlockung für das internationale Album auch international zu arbeiten, habe er nie verspürt. „Das ist alles Humbug. Von wegen ich fahre für den einen Song dahin und für den nächsten nach Rio. Das sind so Leute, die dann da auf Produktionsteams warten, die ihnen die Sachen fertig machen. Ich aber produziere völlig alleine, da darf noch nicht mal jemand daneben sitzen.“ 

Impulse aus der aktuellen Berliner Clubszene sucht man dementsprechend vergeblich auf „7“ – Kalkbrenner ist zwar durch und durch Berliner Künstler und die Stadt steckt tief in seinen Stücken, aber eben als individuelle Prägung und nicht aus dem momentanen Kollektivbetrieb der „Feierstadt“ heraus.  Ihn zieht es schon lange nicht mehr in die Clubs der Stadt – und warum auch, er hat sie zur Genüge in den prägenden Jahren inhaliert. Jetzt ist er woanders angekommen. 

Während eine andere Schule des Technos das 25-jährige Jubiläum des Mauerfalls im Berghain mit einer Detroit-Berliner-Nacht zelebrierte, trat er vor dem Brandenburger Tor auf. „An dem Tag gab es keinen anderen Ort und ich wäre auch nirgendwo anders aufgetreten als dort“, kommentiert er trocken.

Kalkbrenner ist Ostdeutscher. Er kommt aus Lichtenberg im tiefen Osten Berlins. Er stand noch vor der Mauer und kam nicht weiter. 

Für ihn persönlich ist die Mauer auch gerade zum richtigen Zeitpunkt gefallen. „Klar, wenn du über 30 Jahre alt warst und deine Position in der DDR hattest dann war das alles scheiße. Aber wenn du jünger warst, dann hattest du alle Chancen. Wir konnten die erste Hälfte der neunziger ja noch zur Schule gehen. Ich musste erst Ende der neunziger als 20jähriger auf den Plan treten und hatte die notwendige Zeit, die neue Welt zu adaptieren.“ 

Dieses Momentum von Berlin als Stadt die ihre Geschichte so vehement und scheinbar gewaltfrei umgeschrieben hat, sei es auch, was die Amerikaner interessiert und was er dort repräsentiere. 

Paul Kalkbrenner zeichnet sich durch eine sehr offene, die Dinge angehende Art aus. Er hadert nicht mit etwaigen negativen Entwicklungen, die das digitale Zeitalter mit sich gebracht hat, und die auch seine Ambition es in Amerika zu schaffen, und im besten Falle mal einen Grammy oder zumindest eine Nominierung zu erhaschen, negativ beeinflussen könnten. Er sieht immer die Chancen. „Nur die, die sehen, dass mit der neuen Technik ihr eigenes Ding ins Hintertreffen gerät sind die Gegner der neuen Kultur. Alle, die darin eine Chance sehen, werden den Teufel tun und darin was Schlechtes erkennen. Auch 1834 bei der Zollunion haben sie in Bayern ängstlich geschrien, dass das preußische Bier das bayerische Bier verpanschen wird. Es sind immer dieselben Verlustängste und die Angst vor Morgen.“ Die US-Amerikaner werden ihn lieben. 

Was bedeutet für einen so erfolgreichen Musiker wie Paul Kalkbrenner denn noch Erfolg? Spielen Zahlen noch eine Rolle, wenn man schon hunderttausende Platten und Besucher hatte, Millionen Fans einen in den sozialen Medien begleiten und die Abendgagen schon längst in Regionen sind, die Jahresgehältern anderer entsprechen. „Das bedeutet dir irgendwann nichts mehr“, antwortet er. „Es ist ja nicht so, dass es mit 5 Millionen statt 2,5 Millionen Fans doppelt so geil ist.“ 

Auf die Abschlussfrage hin, ob er es sich vorstellen könne, der Karriere wegen in die USA zu ziehen - so wie man das eben aus den Biopics immer kennt, wenn plötzlich der Schnitt aus den einfachen grauen Verhältnissen in die kunterbunte Hollywoodkulisse erfolgt und der Protagonist an einem Pool mit Blick auf Downtown Los Angeles steht –  fällt seine Antwort kurz aus: „Ich bin viel zu sehr Berliner.“

 

 

Quelle: Sonymusic Foto by Thomas Lohr

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